Ein Gespräch zwischen Simon Tobias Bühler und Adrienne Cornut
Liebe Adrienne, du hast mit deinem Dissertationsprojekt zu den Dekorphänomenen und Kontexten des Vierten Pompejanischen Stils über ‘Umwege’ zu uns ans Graduiertenprogramm Eikones gefunden – was hat dich nach Basel gezogen und wie profitierst du vom Umfeld am Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes?
Lieber Simon,
Ja ich war, bevor ich zu eikones gekommen bin, in Kiel. Die Möglichkeit, hier arbeiten zu dürfen und Teil des Doktoratsprogramms zu sein, habe ich dann natürlich gerne wahrgenommen. Mich haben vor allem das strukturierte Curriculum, die Interdisziplinarität und nicht zuletzt die schöne Location interessiert. Profitiert habe ich sehr vom engen Austausch mit anderen Doktorierenden und der grossen Unterstützung, zum Beispiel bei der Organisation von Konferenzen, die wir hier erfahren.
Du hast dich verschiedenfach vernetzt mit Forschenden weit über Basel hinaus, bist selber mehrfach nach Pompeji gereist und hast im vergangenen Jahr am Rheinsprung einen Kongressworkshop mit dem Titel ‘Neue Forschungen in den Vesuvstädten’ organisiert. Welche Grundlage und Möglichkeiten bietet dir das Graduiertenprogramm bezüglich der internationalen Vernetzung wie auch der wissenschaftlichen Arbeit vor Ort in Italien?
Das Doktoratsprogramm half mir bei der Organisation der Tagung sehr, von den Räumlichkeiten bis zu Reisespesen und der Kaffeepause. Diese Möglichkeiten sind toll und senken die Hemmschwelle für uns, solche Tagungen zu initiieren und anzupacken erheblich. Und der Austausch mit anderen jungen Doktorierenden ist natürlich immer sehr spannend und es ist einfach toll, wenn man Kolleg:innen zu sich „nach Hause“ einladen kann.
Wie wichtig ist die bildhistorische und bildtheoretische Bearbeitung antiker, archäologischer Hinterlassenschaften und welche Möglichkeiten bietet dir Eikones für deine Forschungen diesbezüglich?
Die Bildtheorie war für mich Neuland – ich habe Klassische Archäologie und Nordistik studiert und dabei das Thema zwar immer wieder gestreift, aber nie solide vertieft. Ich wusste aber, dass es für mein Dissertationsvorhaben essentiell war und war deshalb sehr froh, hier bei eikones von den Expert:innen ein Gefühl für den Umgang mit diesen Fragen vermittelt zu bekommen. Auch wenn die Klassische Archäologie ja häufig in der Nähe der Kunstgeschichte verortet wird, stellt Bildtheorie in unserem Studium keine so grosse Rolle mehr, wie viele vielleicht meinen. Das alte Klischee, dass klassische Archäolog:innen nicht wie ihre fachverwandten Kolleg:innen im Feld unterwegs sind, sondern die Locken an den Skulpturen zählen, hat vielleicht auch viele von bildwissenschaftlichen Methoden abgeschreckt. Dabei steckt so viel Potenzial in dieser Synergie! Dank der zahlreichen Diskussionen in den Kolloquien und Lesegruppen bei eikones konnte ich einen sicheren Umgang mit diesem Thema gewinnen, der mir nun zugutekommt.
Welche Hindernisse und Erschwernisse ergeben sich in deiner bildhistorischen und bildtheoretischen Bearbeitung antiker Kunstwerke?
Das ist eine gute Frage! Ich persönlich habe das Gefühl, dass gerade bei Fragen der Rezeption von Bildern schnell moderne Konzepte rückprojiziert werden. Damit meine ich vor allem, wenn wir davon ausgehen, dass Menschen in der Antike genau gleich auf zum Beispiel gewisse Farben regiert haben oder dass bestimmte Motive dasselbe auslösten, wie sie es heute tun würden. Ich denke hier muss man sehr vorsichtig sein. Natürlich gibt es Textquellen, aber diese sind häufig nicht zeitgleich oder vielleicht aus dem Kontext gerissen. Dann natürlich das grosse Problem der Rekonstruktion. Wir haben es ja leider nie mit vollständigen Gebäuden, Städten, allgemein gesprochen Kontexten zu tun – meine pompejanischen Wandmalereien sind da fast schon ein Luxus, auch wenn es hier ebenfalls viele Lücken gibt. Wir müssen also gedanklich immer etwas ergänzen und Hypothesen aufstellen – wenn ich zum Beispiel die Wirkung der Malereien eines Raumes bespreche, fehlen mir häufig die Deckenmalereien, die den Eindruck und das ikonografische Repertoire natürlich potentiell völlig über den Haufen werfen könnten. Eine weitere Schwierigkeit ist die „Kunstobjektifizierung“ der Gegenstände – eine bemalte Vase oder eine Wandmalerei sind für uns heute Kunstwerke, die ins Museum gehören und isoliert betrachtet werden. Damals waren sie aber einfach ein Wasserbecher oder quasi die Tapete eines Raumes, die viel praktischere Zwecke erfüllten und nicht für die Ewigkeit gedacht waren.
Wie wird sich deiner Meinung nach das Forschungsfeld der Klassischen Archäologie in den kommenden Jahren verändern und welche Rolle kommt dabei den Bildwissenschaften im Besonderen zu?
Ich meine die Tendenz zu erkennen, dass die Klassische Archäologie seit einiger Zeit (wieder) näher zu den Bildwissenschaften rückt. Ich denke, dass es sich lohnt, auch alte, vermeintlich „abgegraste“ Themen nochmals mit einem frischen Blick und neuen Methoden zu betrachten. Die Entwicklungen innerhalb der Bildwissenschaften und die immer wieder neuen Fragen, die dabei entstehen, sind sehr relevant für ein objektzentriertes Fach wie die Archäologie. Ich wünsche mir auch, dass die Fächergrenzen etwas stärker verschwimmen – sowohl zwischen der Klassischen und Provinzialrömischen Archäologie wie auch zwischen der Kunstgeschichte und der Archäologie. Allgemein denke ich, dass Interdisziplinarität auch im Studium immer wichtiger wird – und das nicht erst im Doktorat.
Mit deinen wegweisenden, klassisch-archäologischen Forschungen eröffnen sich dir viele Wege für die Zukunft. Welche Pläne und Träume stehen dir noch bevor und wo werden wir dich in den nächsten Jahren antreffen dürfen?
Wenn ich das wüsste :)
Hand aufs Herz: Was hättest du gerne anders gemacht, wenn du die Zeit zurückdrehen könntest? Gibt es Ratschläge, die du uns Nachfolgenden in die Wiege legen möchtest?
Nutzt die Strukturen bei eikones! Wir haben so viele tolle Möglichkeiten und Gefässe hier, es lohnt sich, die Initiative zu ergreifen: seien es Tagungen, Lesegruppen, Ausflüge oder Workshops. Sucht die Gespräche mit den NOMIS Fellows und fragt sie nach Feedback. Und nicht zuletzt: Geniest den schönen Ausblick aus dem Fenster – es ist schneller vorbei, als man denkt.
Adrienne Cornut studierte Klassische Archäologie und Nordistik in Basel mit Aufenthalt in Stockholm. Sie schloss ihr Masterstudium 2018 mit einer Arbeit zu den Bildwelten der Casa del Menandro in Pompeji ab. Ihre Forschungsinteressen bilden antike Dekorkonzepte und frühkaiserzeitliche Innenarchitektur. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist sie seit 2021 Doktorandin der eikones Graduate School. Im Fokus von Cornuts Dissertationsprojekt zu den Dekorphänomenen und Kontexten des vierten pompejanischen Stils steht die Untersuchung der wechselhaften, synästhetischen Beziehungen von Architektur, Wandmalerei, Ausstattung und menschlichen Handelns innerhalb städtischer Wohnhäuser. Eine zentrale Fragestellung dabei ist, wie die Wandmalereien in verschiedenen Raumkontexten wirksam werden und welche Regelhaftigkeiten diesen Praktiken zugrunde liegen. Für den vierten Stil charakteristische Dekorphänomene werden analysiert und ihre distributive Logik diskutiert. Neben der Betrachtung der ästhetischen Prinzipien werden auch die narrativen Bildstrategien untersucht, wobei insbesondere das Zusammenspiel der verschiedenen mythologischen Motive von Interesse ist.