Introduction
The Kolonial – Globale Verflechtungen der Schweiz exhibition at the Landesmuseum in Zurich gives a compelling insight into Switzerland’s deep involvement in colonial enterprises, despite never having colonies of its own. It challenges the image of Switzerland as a passive observer, instead demonstrating how it was in fact an active beneficiary of global exploitation.
During the colonial period, poverty drove many Swiss individuals into mercenary work for colonial powers, while Swiss banks financed exploitative ventures and Swiss industries thrived on profits generated through colonial trade networks. By showcasing personal items, historical documents, artifacts and stories of those involved in all aspects of this history the curators confront Switzerland’s complicity and economic gain from colonialism ‒ instead of shying away from these uncomfortable truths.
The exhibition goes beyond recounting history by exploring how these entanglements reverberate today. From modern banking practices to cultural legacies, it invites visitors to confront enduring systemic impacts, making it a poignant and thought-provoking journey.
Kolonial, in Klammern
Der Eingang zur Ausstellung ist textlastig. Über dem viersprachigen Einführungstext ist der Titel kolonial in Buchstaben von beeindruckender Grösse gesetzt. Links oben und rechts unten ist das Titelwort prominent mit Eckklammern versehen – nicht nur am Ausstellungseingang, sondern auf allen Promotionsmaterialien des Landesmuseums. Manche Besucher:innen kennen diese typografische Markierung vielleicht noch aus der kommentierten Klassenlektüre im Schulunterricht. Damit wird angezeigt: Dieses Wort ist erklärungsbedürftig. Es versteht sich nicht von selbst, obwohl oder gerade weil es längst in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Über die Ausstellung verrät das zunächst, dass sie einen didaktischen Anspruch verfolgt und sich der diskursiven Strategie des Kommentars bedient – einer paratextuellen Form also, die an schon Gesagtes und Geschriebenes anschliesst und damit zugleich besagt, dass wir mit dem Basistext noch lange nicht fertig sind. Dass die Schweiz – das Land der Schokolade ohne Kakaoplantagen und des Rohstoffhandels ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen – eine koloniale Geschichte hat, mag selbstverständlich sein. Aber wie mannigfaltig sich diese kolonialen Macht- und Ausbeutungszusammenhänge darstellen und wie sie bis heute soziale Realitäten, Denkweisen, wirtschaftliche Strukturen oder das kulturelle und politische Selbstverständnis in der Schweiz wie auch an ihren kolonialen Schauplätzen prägen, versteht sich nicht von selbst. Wie diese Zusammenhänge in einer Ausstellung thematisieren, ohne selbst koloniale Blickstrukturen oder Wissensregime zu reproduzieren? Wie umgehen mit historischen Bildern voller Gewalt und rassistischer Stereotypen? Und wie der Sprache auf Archivalien und Artefakten begegnen, die sich entmenschlichenden Begrifflichkeiten bedient?
In den beschreibenden Wandtexten begegnet man den Eckklammern des Öfteren. Sie weisen auf Komplexität hin, die mit kommentierenden Erläuterungen weniger entschärft als vermittelt werden soll. Insgesamt 26 Begriffe von «Agency» über «Postkolonial» und «Restitution» bis «Versklavte Menschen» finden sich mit solchen Eckklammern markiert – Begriffe, die in einem separaten Faltblatt diskutiert und historisiert werden. Das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung, das in der Ausstellung gerne eine Entlastung von allen Reparations- und Restitutionsansprüchen sähe, belächelt das Glossar als eine Konzession an den Zeitgeist in «unseren sensiblen Zeiten». Dabei zeigt sich in dieser kenntnisreichen Handreichung gerade das wissenschaftliche Selbstverständnis der Ausstellung: Glossen als eine textnahe Form des Kommentars rechnen mit einem Publikum, das zwischen den Zeilen lesen kann und Sprache nicht als abgeschlossenes System, sondern gleichermassen als Ausdruck von Machtverhältnissen und Schauplatz ihrer Kritik versteht.