Kanon
Foreigners everywhere lautet der Titel der 60. Biennale von Venedig.
Adriano Pedrosa, Kurator der 60. Biennale und des MASP in São Paulo, wählte die Arbeit Foreigners everywhere des Künstler*innenkollektivs Claire Fontaine als programmatischen Titel.
Pedrosa organisiert die Werke der insgesamt 331 Künstler*innen entlang von zwei Kernbereichen, die er «nucleos» nennt. Im nucleo storico im zentralen Pavillon der Giardini stellt er Werke bereits verstorbener Künstler*innen in drei Unterkategorien aus: dem Portrait, den Abstraktionen und der italienischen Diaspora. Im nucleo contemporaneo, der auf den zentralen Pavillon und die Arsenale verteilt ist, stellt er mehrheitlich Werke von noch lebenden Künstler*innen aus. Im Folgenden möchte ich anhand von Räumen im nucleo storico und im nucleo contemporaneo die kuratorische Strategie von Pedrosa genauer untersuchen.
In zwei Räumen des nucleo storico, dem Herzstück des zentralen Pavillons, befinden sich zahlreiche Portraits von Künstler*innen, die in ihren jeweiligen Ländern zwar berühmt, dem westlichen Kanon aber weitgehend unbekannt waren. Die Portraits, die im späten 19. und 20. Jahrhundert – in der kunsthistorischen Moderne – entstanden sind, bespielen nicht nur wie üblich die horizontale, sondern auch die vertikale Dimension der Wände. Pedrosa demonstriert damit Quantität. Die schiere Anzahl an Werken führt auf diese Weise affektiv aus dem realen Raum heraus und in einen Meta-Raum übersehener Kunstwerke hinein. Das allein in diesem Raum gezeigte Ausmass dessen, was der Kanon übersehen hat, ist überwältigend und beschämend.