2. Bitte nennen Sie bis zu drei Bücher, die für die Orientierung Ihrer Forschung eine wichtige Rolle gespielt haben.
André Leroi-Gourhan, Le Geste et la Parole, 2 vols., Paris 1964–1965 (Hand und Wort: die Evolution von Technik, Sprache und Kunst, Frankfurt a.M. 2006)
Symbolische Artefakte und Bilder entstehen gleichzeitig mit der Hominisation. In Frankreich wird Kunstgeschichte daher zusammen mit Archäologie studiert. Diese beiden Bände, mit den Untertiteln Technik und Sprache und Gedächtnis und Rhythmen, sind in der physischen Anthropologie, der prähistorischen Archäologie und der zeitgenössischen Ethnologie verwurzelt. Sie präsentieren eine Theorie menschlichen Verhaltens und kultureller Entwicklung und stellen gleichzeitig eine ökologische Kritik des Modernismus dar. Ich las die Bände im Jahr 2001. Das weckte mein Interesse, Wissenschaftler zu werden. Leroi-Gourhan inspirierte viele Forschungen im Bereich der technologie culturelle, der Anthropologie der Techniken. 2012 versuchte ich, eine Brücke zwischen diesem Forschungsgebiet und der Kunstgeschichte zu schlagen, mit einem Aufsatz und einem Sammelband über Werkzeuge und Instrumente. Das war wichtig für meine folgende Arbeit.
André Desvallées, François Mairesse (ed.), Dictionnaire encyclopédique de muséologie, Paris 2011
Dieses umfassende Handbuch, das vom einschlägigen Komitee des Internationalen Museumsrats (ICOM) herausgegeben wurde, bietet eine Einführung in die Museologie. Zehn Jahre vor der Veröffentlichung, also 2001/2002, studierte ich dieses Fach mit Begeisterung an der École du Louvre. Zu dieser Zeit standen anthropologische und ästhetische Zugänge zur aussereuropäischen indigenen Kunst und Kultur im Zentrum der Debatten über das zukünftige Musée du Quai Branly in Paris (2006 eröffnet). Zudem konzipierte Michel Colardelle in diesen Jahren das Musée national des Arts et Traditions populaires in Paris neu, das 2005 geschlossen und 2013 als Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée in Marseille wiedereröffnet wurde. Angeregt von Ideen der „neuen“ und „kritischen“ Museologie wollte Colardelle die sinnlichen und kognitiven Erfahrungen der Besucher:innen mit den Objekten in den Mittelpunkt stellen und auch Interkulturalität thematisieren. Er war eine Figur der sozialistischen Museumspolitik, engagiert und kreativ, und ein inspirierender Lehrer.
Jean-Claude Schmitt, Le corps, les rites, les rêves, le temps. Essais d’anthropologie médiévale, Paris 2001
Als ich nach einem Dissertationsbetreuer suchte, stellte Michel Colardelle mir Isac Chiva (1925–2012) vor, ein emeritierter Ethnologe, spezialisiert auf den ländlichen Raum Frankreichs, und ein enger Mitarbeiter des Anthropologen Claude Lévi-Strauss. Chiva empfahl mir Jean-Claude Schmitt, einen Mittelalterhistoriker, den er dafür schätzte Ethnografie gut zu verstehen. Ich erzählte Chiva von meinem Interesse an der Entwicklung der Europäischen Union, insbesondere an Deutschland. Er gab mir einen Aufsatz, in dem er über den Todeszug von Iași in Rumänien im Jahr 1941 berichtet, den er überlebt hatte, sowie über seine Freundschaft mit dem Dichter Paul Celan während ihres Exils in Paris und über seine spätere Zusammenarbeit mit deutschen Ethnologen, die sich dem nationalsozialistischen Erbe der Volkskunde stellten.Isac Chiva, Des itinéraires décalés et croisés / Getrennte und gekreuzte Wege. En l’honneur de Utz Jeggle, Tübingen 2001, 13 pp. Chiva drängte mich, dem zu folgen, was mir wichtig war. Jean-Claude Schmitt willigte ein, mir bei der Untersuchung eines Kirchenschatzes in der ehemaligen DDR zu helfen. Seine damals kürzlich veröffentlichte Aufsatzsammlung war ideal für meinen Übergang vom Ethnologen zum Mediävisten. Ich bewunderte die Tiefe seiner methodischen Reflexion und seine Fähigkeit, jede Art menschlicher Erfahrung zu historisieren. Dies eröffnete mir neue Möglichkeiten an einem entscheidenden Punkt, als mir klar wurde, dass die zeitgenössische Museologie viele Fragen an Kirchenschätzen zu stellen hatte.