Essay: Mehr als nur Bauch. Schwangere und stillende Körper in den Fotografien von Andi Gáldi Vinkó

Anna-Lia Käslin-Tanduo, September 2024, 15 min. reading time

„So where do we go when we disappear into this fog of mothering?“Charlotte Jansen, „Vorwort: Reappearing Act“, in: Andi Gáldi Vinkó, Sorry I Gave Birth I Disappeared But Now I’m Back, London 20242, S. 6.

 

Ein Kind auszutragen ist ein einschneidendes Erlebnis und eine große Herausforderung. Die rasche Veränderung des eigenen Körpers und dessen Einnahme durch einen anderen Körper – und das von innen – kann sich wie ein Kontrollverlust anfühlen. Jedoch sind von diesem Gefühl in gewisser Hinsicht alle Eltern betroffen. Schließlich tritt auch bei jener Elternschaft, die nicht durch eine erlebte Schwangerschaft begründet ist, ein anderer Mensch mit einer Dringlichkeit in das eigene Leben, die alles verändert. Für die schwangere Person gilt dies aber in besonderem Maße, denn die Schwangerschaft wird „leiblich-subjektiv erfahren und ist zugleich kulturell bestimmt“Helga Krüger-Kirn, „Somatisches Wissen artikulieren. Annäherungen an die leiblichen Erfahrungen von Schwangerschaft und von Leihmutterschaft“, in: Feministische Studien 1 (2019), S. 48–64, hier S. 51..

Einschneidend ist das Erlebnis der Schwangerschaft nämlich nicht nur aufgrund der körperlichen Vereinnahmung durch das Kind, sondern auch wegen der Vereinnahmung durch die Gesellschaft. Eine Schwangerschaft wird nicht nur subjektiv erfahren, sie steht gleichzeitig „in einem engen Zusammenhang mit der Wirkmächtigkeit kultureller Symbolisierungen“.Helga Krüger-Kirn, „Somatisches Wissen artikulieren. Annäherungen an die leiblichen Erfahrungen von Schwangerschaft und von Leihmutterschaft“, in: Feministische Studien 1 (2019), S. 48–64, hier S. 52. Schwangerschaft wird eng mit einem Konzept von Weiblichkeit verbunden und als die vollkommene Erfüllung des sogenannten ‚Frauseins‘ durch die Mutterschaft stark idealisiertVgl. Ornaith Rodger, „Gender ldentities in the Discourse of Pregnancy: The Constructive Role of Pregnancy Advice Literature“, in: Tina-Karen Pusse, Katharina Walter (Hg.), Precarious Parenthood. Doing Family in Literature and Film, Wien 2013, S. 201–216, hier S. 204. – unabhängig davon, mit welchem Geschlecht oder Frauenbild sich die schwangere Person identifiziert.

Diese Zuschreibungen beginnen mit der Schwangerschaft und gehen weit über diese hinaus, wenn zum Beispiel das Stillen als natürlichste aller Ernährungsformen hochgepriesen wird.Vgl. Pola Groß, „Milch und Arbeit. Stillen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, in Weimarer Beiträge: Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften 3 (2023), S. 325–345, hier S. 325. Die Idealisierung hat zur Folge, dass das eigene körperliche Empfinden der Betroffenen tabuisiert und ihnen abgesprochen wird, sofern es nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht. Die Zuschreibungen von außen lassen schwangere Personen in ihrer Individualität somit unsichtbar werden. Dieser Zustand der Unsichtbarkeit kann durch die Kunst – zum Beispiel die Fotografie oder Literatur – aufgedeckt und reflektiert werden, was zu einem gesellschaftlichen Veränderungsprozess beitragen kann. Eine Möglichkeit, wie Kunstwerke diesen Beitrag leisten können, wird in diesem Essay anhand von Bildern der Fotografin Andi Gáldi Vinkó aufgezeigt.

Künstlerische Werke jeder Form eignen sich deshalb besonders gut für die Reflexion der gesellschaftlichen Zuschreibungen im Kontext von Schwangerschaft und Elternschaft, weil sich an ihnen in besonderer Weise die Auswirkungen dieser Zuschreibungen aufzeigen lassen. Künstler*innen leben bereits vor der Elternschaft in anspruchsvollen Lebensverhältnissen, denn „vom symbolischen Kapital der Kultur lassen sich weder Lebensmittel kaufen noch Wochenendausflüge finanzieren.“Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt, Christoph Wenzel, „Vorwort“, in: Dies. (Hg.), Brotjobs & Literatur, Berlin 2021, S. 7–15, hier S. 7. Und wenn aus Künstlerinnen Eltern werden, wirkt sich nicht nur der durch Care-Arbeit bedingte Zeitmangel auf ihre Kreativität aus, im schlimmsten Fall werden schon schwangere Künstlerinnen aus ihrer Berufswelt ausgeschlossen.Vgl. Hettie Judah, How Not to Exclude Artist Mothers (and other parents), London 2022, S. 17. Die freie Journalistin Mareice Kaiser beschreibt ihr Gefühl als Mutter so: „Ich erfülle nicht die Erwartungen an mich, weder als Mutter, noch als Künstlerin. Ich scheitere, eigentlich jeden Tag.“Mareice Kaiser, „Warum Kunst kein Luxus sein sollte“, in: Fast Sommer, https://steadyhq.com/de/fast-sommer/posts/6ca96617-2146-483e-987b-f3c45b1c53ab, (letzter Zugriff 24.04.2024). Und auch die Fotografin Andi Gáldi Vinkó beschreibt eine Verunsicherung in ihrem Dasein als Künstlerin: „Now I am a mother of two working on borrowed time hoping the years I’ve lost mothering can be written into my CV without guilt or shame.“Andi Gáldi Vinkó, „Nachwort“, in: Sorry I Gave Birth I Disappeared But Now I’m Back, London 2024 (2. Aufl.). Schwangerschaft und Elternschaft werden als Hinderungsgründe empfunden, der eigenen Kunst nachzugehen. Und dies ist in der Realität auch meist der Fall. Sowohl die künstlerische Tätigkeit als auch die durch Elternschaft bedingte Care-Arbeit werden wenig oder gar nicht entlohnt, was diese Arbeitsbereiche praktisch unvereinbar macht. Gesellschaftliche Idealbilder von künstlerischer Arbeit, Geschlechterrollen und Elternschaft verstärken diese Unvereinbarkeit noch. Im Ergebnis müssen sich daher viele Betroffene entscheiden, ob sie künstlerisch arbeiten oder Kinder haben möchten. Und wer beides kombiniert, leidet meist unter einem hohen Druck und dem ständigen Gefühl des Scheiterns (s. o.).

 Andi Gáldi Vinkó brachte 2022 einen Fotoband mit dem Titel Sorry I Gave Birth I Disappeared But Now I’m Back heraus. In den von 2016 bis 2022 entstandenen Fotografien wird eine Bildsprache gefunden, die mit gängigen Tabus bricht und die Realität des Alltags von schwangeren Körpern und Eltern zeigt. Die Fotografin nahm ihre eigenen Erfahrungen nach der Schwangerschaft und Geburt als Ausgangspunkt für diese Arbeit. Als sie sich der Divergenz zwischen ihrer geleisteten Care-Arbeit und deren Sichtbarkeit bewusst wurde, fing sie an „all diese kleinen Dinge – Schnuller reinigen, Wäsche machen, das Bett neu beziehen – zu fotografieren“, um eine Art Beweis für ihre tägliche Arbeit zu haben.Laura Kurtz, „Oh Baby, Baby. Interview mit Andi Gáldi Vinkó“, in: ZEIT Magazin, 12.01.2023, S. 22–27, hier S. 27. Mit der Bearbeitung dieses Themas trifft sie einen Nerv, was schon daran deutlich wird, dass die erste Ausgabe des Fotobandes bereits 2023 vergriffen war.Anfang 2024 erschien die zweite Auflage bei Trolley Books. Weitere Informationen zum Projekt und dem Fotoband sind auf der Website der Künstlerin zu finden: https://andigv.com/Sorry-I-Gave-Birth-I-Disappeared-But-Now-I-m-Back. Neben den Bildern alltäglicher Gegenstände und Handlungen im Kontext von Elternschaft steht im Projekt von Gáldi Vinkó aber vor allem die Körperlichkeit im Zentrum. Mit diesem Begriff ist hier alles den Körper betreffende gemeint – dies umfasst Form und Zustand, aber auch Erfahrungen, welche durch den Körper gemacht werden. Gáldi Vinkó inszeniert Körper(teile) in unterschiedlichen Situationen und aus verschiedensten Perspektiven: schwanger, gebärend, postpartum, stillend, gestillt, schlafend, müde, verletzt, spielend, einander berührend, jung und alt, Eltern und Kinder.

Auffallend an den Fotografien des Projekts ist, dass diese immer wieder einen starken Bezug zur Natur aufweisen. Dabei ist dieser nicht einfach auf das Klischee der Natürlichkeit von Schwangerschaft und Fürsorge zurückzuführen, wenngleich Gáldi Vinkó sicher mit dieser Zuschreibung spielt. Vielmehr nutzt die Fotografin die Natur, um der ins Zentrum gestellten Körperlichkeit ein Deutungsinstrument hinzuzufügen. Das Motivpaar von schwangerem Körper und Wasser kehrt im Fotoband ebenfalls wieder. In einer Abbildung (Abb. 1) schwimmt eine schwangere Person auf dem Rücken in einem dunklen Gewässer. Dabei wird um die Person herum Licht im Wasser reflektiert, sodass es scheint, als sei sie von kleinen leuchtenden Punkten umgeben. Das Foto unterstreicht den dargestellten Kontrast von Schwere und Leichtigkeit durch das reflektierende Licht. Gleichzeitig wird hier ein Angebot zur Umdeutung eines Körperbildes gemacht.

Abb. 1: Bild einer schwangeren Person aus: Andi Gáldi Vinkó, Sorry I Gave Birth I Disappeared But Now I’m Back, London 2024 (2. Aufl.). © Andi Gáldi Vinkó. https://andigv.com/Sorry-I-Gave-Birth-I-Disappeared-But-Now-I-m-Back

Die genaue Herkunft des Wortes ‚schwanger‘ ist nicht bekannt, eine Verbindung besteht jedoch zum altenglischen ‚swangor‘, was schwerfällig und träge bedeutet.Vgl. Eintrag zu ‚schwanger’ in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS), https://www.dwds.de/wb/schwanger, (letzter Zugriff 29.04.2024). Dies deckt sich mit den gesellschaftlichen Assoziationen rund um den schwangeren Körper. Dieser – insbesondere der Bauch – steht durch sein Volumen im Fokus der öffentlichen Blicke. Der Zustand der Schwangeren wird dabei als eingeschränkt und schwerfällig wahrgenommen, was sich zum Beispiel in der Kennzeichnung von Vorrangplätzen im öffentlichen Verkehr zeigt (Abb. 2).

Diese sind unter anderem für schwangere Personen als „Menschen mit eingeschränkter Mobilität“Erläuterung der Deutschen Bahn zu Vorrangplätzen in Zügen: https://www.bahn.de/service/zug/ice-sitzplaetze/vorrangplaetze, (letzter Zugriff 29.04.2024). vorgesehen. Die Veränderung des Körpers einer schwangeren Person beeinflusst nicht nur die subjektive Wahrnehmung der Person selbst, „die Artikulation der neuen, veränderten Leiblichkeit [steht] in einem engen Zusammenhang mit der Wirkmächtigkeit kultureller Symbolisierungen von Schwangerschaft.“Helga Krüger-Kirn, „Somatisches Wissen artikulieren. Annäherungen an die leiblichen Erfahrungen von Schwangerschaft und von Leihmutterschaft“, in: Feministische Studien 1 (2019), S. 48–64, hier S. 52. Gáldi Vinkó lässt den Fokus (Abb. 1) zwar auf dem schwangeren Bauch, der aus dem Wasser emporragt. Indem die Person aber mit ausgestreckten Armen im Wasser liegt, wird eine Schwerelosigkeit des schwangeren Körpers gezeigt, welche der gängigen Vorstellung entgegensteht. Es wird damit eine gesellschaftliche Deutungspraxis aufgedeckt und zugleich durch eine neue, ungewohnte Darstellungsart überwunden.

Abb. 2: Symbole zur Sitzplatzmarkierung von Vorrangplätzen bei der Deutschen Bahn, abrufbar unter https://www.bahn.de/service/zug/ice-sitzplaetze/vorrangplaetze (letzter Zugriff 29.04.2024).

Ein Bildpaar (Abb. 3) zeigt auf der rechten Seite die Nahaufnahme einer (durch das Stillen) verletzten Brustwarze, welche mit einer pinkfarbenen Blüte verziert ist. Auf der linken Seite ist Fallobst in Form von Äpfeln zu sehen, welches auf einer Kleewiese liegt. Die Blüte auf der Brustwarze gibt der Verletzung zum einen eine verspielte Note. Zum anderen lässt sie die beiden Bilder nicht nur nebeneinanderstehen, sondern schafft eine Verbindung zwischen ihnen, denn es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur Apfelblüte und auch die Blütenfarbe findet sich im Fallobst wieder. Fallobst wiederum ist etwas, mit dem wir heute kaum noch in Berührung kommen, da wir die meisten Früchte im Supermarkt kaufen. Dort werden wir nicht mit den Makeln konfrontiert, welche zum Beispiel Äpfel mit sich bringen können, und schon gar nicht mit jenen Exemplaren, die wurmzerfressen und nicht mehr essbar erscheinen.

Abb. 3: Doppelseite mit Fallobst und Bild einer Brustwarze aus: Andi Gáldi Vinkó, Sorry I Gave Birth I Disappeared But Now I’m Back, London 2024 (2. Aufl.). © Andi Gáldi Vinkó. https://andigv.com/Sorry-I-Gave-Birth-I-Disappeared-But-Now-I-m-Back

Ähnlich steht es um die weibliche Brust.Die Bezeichnung als weiblich ist problematisch, da auch dieser Begriff mit Zuschreibungen und gesellschaftlich festgeschriebenen Geschlechterrollen zusammenhängt. Gemeint ist die Brust als sekundäres Geschlechtsmerkmal. Sie wird hier als weibliche Brust beschrieben, um zu betonen, dass die angesprochenen Probleme gerade im Zusammenhang rollenspezifischer Zuschreibungen von außen entstehen. Wenn in der Öffentlichkeit präsent, dann handelt es sich um einen stark sexualisierten Körperteil, welcher in einer vermeintlichen Perfektion abgebildet wird. Dies bestätigt auch Andi Gáldi Vinkó, wenn sie von ihrer eigenen Sicht auf ihre Brust erzählt: „Vorher habe ich Brüste eher als eine Art hübsche Verzierung wahrgenommen. Auf einmal dienten sie einem Zweck: einen Menschen am Leben zu halten.“Laura Kurtz, „Oh Baby, Baby. Interview mit Andi Gáldi Vinkó“, in: ZEIT Magazin, 12.01.2023, S. 22–27, hier S. 27. Mit der Realität der weiblichen Brust werden wir als Gesellschaft nicht konfrontiert, da ihre Entblößung mit Scham besetzt ist und Freizügigkeit in dieser Hinsicht als anzüglich oder anstößig empfunden wird. Eine verletzte Brust ist somit noch viel weniger im kollektiven Bewusstsein, insbesondere nicht, wenn die Verletzung durch etwas so Idealisiertes wie Mutterschaft hervorgerufen wird. Und auch in der Kunst hat die Realität einer stillenden Brust bisher kaum ihren Platz gefunden, wie Hettie Judah feststellt: „Breastfeeding – not as iconic Marian fantasy, but sticky reality – is an uncommon subject for painting.“Hettie Judah, „Family Matters. Hettie Judah on the Politics of Portraying Parenthood“, in: Apollo. The International Art Magazine, September (2022), S. 35–36, hier S. 35.

Im Bildpaar (Abb. 3) sehen wir auf den ersten Blick eine harmonische Farbkomposition und eine verspielte Darstellung von Verletzlichkeit. Dies nimmt uns die Hemmung, auf die Abbildung der Verletzung zu schauen, ermöglicht uns einen wohlwollenden Blick und ebnet so den Weg für die Reflexion über das, was eigentlich gezeigt wird. Die Auseinandersetzung mit Verletzung und Verletzlichkeit ist dabei auch eine Konfrontation mit unseren sogenannten Makeln. Moshtari Hilal kommt in ihrem Buch Hässlichkeit zu dem Schluss: „Nur in der Hässlichkeit spiegelt sich eine Wahrheit, die über Bilder und Worte hinaus Zeugnis abgibt von der Verletzlichkeit des menschlichen Lebens […]“.Moshtari Hilal, Hässlichkeit, München 2023, S. 210. Sie nimmt dabei Bezug auf Mia Mingus, die in einem Vortrag forderte, das Hässliche, Ausgestoßene für die Prägung zu würdigen, die es uns verleiht und anzunehmen als „some of our greatest strength”Mia Mingus, „Moving Toward the Ugly: A Politic Beyond Desirability“, in: Leaving Evidence, https://leavingevidence.wordpress.com/2011/08/22/moving-toward-the-ugly-a-politic-beyond-desirability/, (letzter Zugriff 24.04.2024).. Vor diesem Hintergrund schafft Gáldi Vinkó mit ihrer Komposition eine Umdeutung der dargestellten Makelhaftigkeit. Die stillende Brust darf in ihrer Verletzlichkeit kein Tabu sein, mit dem stillende Menschen alleingelassen und für unbequem, ja unschön erklärt werden und so in eine Unsichtbarkeit gedrängt werden. Denn dann muss dieses Erlebnis von den Betroffenen zwangsläufig als ein Scheitern gedeutet werden. Der Versuch zu Stillen – unabhängig von der Existenz oder Länge der darauffolgenden Stillbeziehung – sollte die betreffende Person als Erfahrung in ihrer Beziehung zum eigenen Körper stärken. Es geht letztlich um einen körperlichen Lernprozess, genauso wie man lernen kann, Fallobst zu verwerten und nicht als Abfall zu betrachten. Und schließlich geht es auch um die Möglichkeit, dieses Erleben in der Kunst verarbeiten zu können.

Die hier besprochenen Bilder aus dem Projekt von Andi Gáldi Vinkó stellen die Körperlichkeit von Schwangerschaft und Elternschaft nicht durch die Reproduktion eines vorhandenen Ideals oder Symbols dar, sondern indem sie die Realität dieser körperlichen Erlebnisse ehrlich und zugleich wohlwollend inszenieren. Dadurch schafft die Fotografin einen neuen Zugang zu dieser Realität und deckt gängige Klischees und bisherige Deutungsmuster in ihrer Problematik auf. Die enge Verbindung des Projekts mit der Biografie der Künstlerin hat noch einen weiteren Effekt: Neben der grundsätzlichen Diskussion über die Stellung und Bewertung von Schwangerschaft und Elternschaft in unserer Gesellschaft öffnet sich die Tür zu einer Debatte über die Vereinbarkeit von künstlerischer Tätigkeit und Elternschaft. Durch den stark diskursiven Charakter der Fotografien findet eine Politisierung der Körper durch das Kunstwerk statt. Dies wiederum könnte ein gesellschaftliches Umdenken im Umgang mit den betroffenen Personen bewirken und sie in ihrer Individualität sichtbar werden lassen. In Bezug auf die Kunstbranche (aber nicht nur) könnte das bedeuten, dass weniger Personen an der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit scheitern. In einem ersten Schritt kommt der Thematik so zumindest mehr der gebührenden Aufmerksamkeit zu.

Bibliografie

Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt, Christoph Wenzel, „Vorwort“, in: Dies. (Hg.), Brotjobs & Literatur, Berlin 2021, S. 7–15.

Andi Gáldi Vinkó, Sorry I Gave Birth I Disappeared But Now I’m Back, London 20242.

Pola Groß, „Milch und Arbeit. Stillen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, in: Weimarer Beiträge: Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften 3 (2023), S. 325–345.

Moshtari Hilal, Hässlichkeit, München 2023.

Charlotte Jansen, „Vorwort. Reappearing Act“, in: Andi Gáldi Vinkó, Sorry I Gave Birth I Disappeared But Now I’m Back, London 20242, S. 6–7.

Hettie Judah, „Family Matters. Hettie Judah on the Politics of Portraying Parenthood“, in: Apollo. The International Art Magazine, September (2022), S. 35–36.

Hettie Judah, „How Not to Exclude Artist Mothers (and Other Parents)“, London 2022.

Mareice Kaiser, „Warum Kunst kein Luxus sein sollte“, in: Fast Sommer, https://steadyhq.com/de/fast-sommer/posts/6ca96617-2146-483e-987b-f3c45b1c53ab, (letzter Zugriff 24.04.2024).

Laura Kurtz, „Oh Baby, Baby. Interview mit Andi Gáldi Vinkó“, in: ZEIT Magazin, 12.01.2023, S. 22–27.

Helga Krüger-Kirn, „Somatisches Wissen artikulieren. Annäherungen an die leiblichen Erfahrungen von Schwangerschaft und von Leihmutterschaft“, in: Feministische Studien 1 (2019), S. 48–64.

Mia Mingus, „Moving Toward the Ugly: A Politic Beyond Desirability“, in: Leaving Evidence, https://leavingevidence.wordpress.com/2011/08/22/moving-toward-the-ugly-a-politic-beyond-desirability/, (letzter Zugriff 24.04.2024).

Ornaith Rodgers, „Gender ldentities in the Discourse of Pregnancy: The Constructive Role of Pregnancy Advice Literature“, in: Tina-Karen Pusse, Katharina Walter (Hg.), Precarious Parenthood. Doing Family in Literature and Film, Wien 2013, S. 201–216.